Fossiles Erdgas ist das zweitwichtigste Geschäftsfeld der Stadtwerke Essen – noch. Denn nach dem Willen der Bundesregierung soll spätestens 2045 Schluss damit sein; die Stadt hat sogar 2040 als Zielmarke ausgegeben. Für die Stadtwerke und ihren neuen Vorstandsvorsitzenden, Dr. Frank Pieper, eine Mammutaufgabe. Darüber und über weitere Themen haben wir mit dem 52-jährigen Ingenieur und promovierten Betriebswirtschaftler gesprochen.
Es sind unruhige Fahrwasser, in denen Dr. Frank Pieper das Ruder bei den Essener Stadtwerken zu Jahresbeginn übernommen hat. Bis 2040 muss das gut laufende Erdgasgeschäft durch andere Einnahmequellen kompensiert werden. 40,5 Prozent der Gewinne stammten zuletzt aus dem Verkauf von Erdgas sowie dem Erdgasnetzbetrieb. Nur die Entwässerung brachte mit 52 Prozent noch mehr ein. Doch auch da warten gewaltige Herausforderungen, sagt Pieper: „Wir werden bis weit in die 2030er-Jahre jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in die Kanalnetze investieren müssen.“
Es ist wohl auch deshalb nicht überraschend, dass der Wahl-Düsseldorfer Anfang 2023 ein bisschen Bedenkzeit brauchte, ehe er die Anfrage aus Essen positiv beschied. Doch die neue Herausforderung mit größerer „strategischer Verantwortung“ reizte ihn. Pieper war seit 2015 Geschäftsführer der WSW Netz GmbH in Wuppertal gewesen. Bereut habe er die Entscheidung nicht, sagt er – „im Gegenteil: Die Stadtwerke Essen sind ein gesundes und traditionsreiches Unternehmen mit einer über 155-jährigen Geschichte. Essen ist die zehntgrößte Stadt Deutschlands. Ich bin stolz darauf, hier diese verantwortungsvolle Position bekleiden zu dürfen.“
Dr. Frank Pieper, Vorsitzender des Vorstands der Stadtwerke Essen. Foto: Oliver Müller
Über 200 Gespräche
Und in der hieß es zunächst, viele Gespräche zu führen – mit Aufsichtsräten, Stadtverwaltung, Gesellschaftern, Kunden, Dienstleistern, Spitzen der benachbarten Stadtwerke und nicht zuletzt dem Handwerk: „Ich habe beim 200. Kennenlerngespräch aufgehört mitzuzählen“, so Pieper. Aufzählbare Erfolge gibt es aber auch bereits: Strategische Ziele wurden entwickelt, erste Umsetzungsschritte gemacht. So soll ein neues Geschäftsfeld „Wärmenetze“ entstehen. „Wir haben 13 Stadtteile für solche ‚Wärmenetze 4.0‘ identifiziert – also Gebiete, in denen moderne Niedertemperaturnetze die grüne Lösung für den Wärmebedarf unserer Kunden werden können.“ Über Großwärmepumpen sollen diese Netze mit erneuerbarer Energie und unvermeidbarer Abwärme gespeist werden. Hierzu wurden bereits mehrere Vorverträge geschlossen und Förderanträge für Machbarkeitsstudien gestellt. Bei der Umsetzung setzt Pieper stärker als bisher auch auf Partner, nicht zuletzt aus dem Handwerk.
Schulterschluss bei kWP
Die kommunale Wärmeplanung (kWP), bei der die Stadtwerke nun ebenfalls verstärkt den Schulterschluss suchen, prognostizierte zunächst allerdings, dass stadtweit fast die Hälfte des künftigen Wärmebedarfs über Heizstrom gedeckt werden soll, vorwiegend durch Zentralheizungen mit Wärmepumpen – ein Wert, den Pieper für zu ambitioniert hält: „Wir bräuchten eine Verdreifachung der Gebäudesanierungsrate, was völlig unrealistisch ist, um bis 2040 nur die Hälfte der Gebäude in Essen auf einen Stand zu bringen, bei dem die Wärmepumpe die wirtschaftlichste Option ist. Deswegen möchten wir mit Nahwärmenetzen eine bezahlbare Alternative schaffen.“ Allein dieses Geschäftsfeld wird das schrittweise wegfallende Erdgasgeschäft allerdings nicht ersetzen können, räumt auch Pieper ein. Deswegen will er auch den Bereich „Energiedienstleistungen“ weiter ausbauen, auch bei Wärmepumpen, etwa in Form von Contracting-Angeboten, auch hier in enger Kooperation mit dem Handwerk.
Wachstumspotenzial sieht Pieper zudem beim Aufbau von Photovoltaikanlagen auf größeren Freiflächen – bislang ein eher marginales Geschäftsfeld der Stadtwerke. Last, but not least wollen die Stadtwerke in die Wasserstoffwirtschaft einsteigen. „Essen hat den wahnsinnigen Standortvorteil, dass das deutsche Wasserstoff-Kernnetz den Norden der Stadt quert.“ Teile des Erdgasnetzes der Stadtwerke sollen umgewidmet werden und zur Versorgung künftiger Wasserstoff-Kunden dienen. Zunächst werden dies vorwiegend industrielle Kunden sein, grüner Wasserstoff in der Wärmeversorgung sei im Einzelfall aber denkbar. „Auch für den Aufbau eines Wasserstoff-Verteilnetzes in Essen führen wir gerade erste Gespräche.“
Stadtwerke statt Big Player
In den ersten fünf Jahren, für die Pieper zunächst gewählt ist, will er zumindest mit der Erschließung der neuen Geschäftsfelder begonnen haben. Und danach? Auf Nachfrage räumt er ein, auch schon gefragt worden zu sein, ob nicht die großen Player der Branche eine Option seien. Doch ihn hätten schon immer Stadtwerke gereizt, mit ihrer Nähe zum Kunden, ihrer Relevanz für die Bürger sowie der vielfältigen Technik; auch mal rausfahren zu können, um sich die neuesten Montageverfahren vor Ort anzuschauen. Und so könne er sich sehr gut vorstellen, bis zur Rente in Essen zu bleiben.
Jörn-Jakob Surkemper
Dr. Frank Pieper
Als Sohn eines Sanitär- und Heizungsbaumeisters im niedersächsischen Diepholz aufgewachsen, zog es Frank Pieper 1991 zum Elektrotechnik-Studium nach Dortmund. Seinen Wehrdienst absolvierte er in Essen-Frillendorf. Es folgten berufliche Stationen bei der MVV Energie AG in Mannheim, ein betriebswirtschaftliches Studium (European MBA Program) in Mannheim, Warwick und Paris, Geschäftsführertätigkeiten bei der EUS GmbH in Dortmund (MVV Gruppe), der Stadtwerke Solingen Netz GmbH (MVV Gruppe) und der HSE Technik GmbH & Co. KG in Darmstadt, heute Entega. Er promovierte nebenberuflich in Betriebswirtschaftslehre an der TU Darmstadt, ehe er die Geschäftsführung der WSW Netz GmbH in Wuppertal übernahm. Seit Januar 2024 ist er Vorsitzender des Vorstands der Stadtwerke Essen AG. In seiner Freizeit genießt Pieper Familienleben und Gartenarbeit, trifft Freunde, fährt Motorrad, treibt Sport (Joggen, Ju-Jutsu) und geht im Urlaub Ski fahren und Tauchen. Zudem engagiert er sich bei den Rotariern und kümmert sich dort u. a. regelmäßig um Spendenaktionen für Kinderheime. Er ist verheiratet und hat einen 14-jährigen Sohn.