Auflagen, Vorschriften, Dokumentationspflichten – die Betriebe ächzen mehr denn je unter Aufgaben, die mit ihrem Kerngeschäft wenig bis gar nichts zu tun haben. Hilfe erhoffen sich viele von digitalen Lösungen.
Nachtschichten“ für den Papierkram, dauernde Anpassungen im Betrieb wegen Änderungen der Vorschriften und Auflagen, Ärger mit Behörden, weil Genehmigungen zu lange dauern – so stellt sich Bürokratie in Deutschland aus der Sicht vieler Handwerkerinnen und Handwerker dar. Die Bürokratie hat deutlich zugenommen, gerade in der SHK-Branche, wenn man sich den Bereich, Anträge auf Fördermittel’ oder auch die Beratungspflicht beim Einbau von Gas- bzw. Ölheizungen ansieht“, sagt Thomas Weber, Obermeister der Innung für Sanitär- und Heizungstechnik Ruhr-West. „Auflagen im Bereich der Gefahrstoffverordnungen oder auch die Informations- und Meldepflichten, zum Beispiel bei Bleirohrleitungen in der Trinkwasserinstallation, fordern gut geschulte Monteure. Sie müssen vor Ort die Problematik erkennen und entsprechend dokumentieren und weiterleiten.“ Hinzu kämen Vorgaben aus dem Arbeits- und Sozialrecht, wie Arbeitszeiterfassung, der elektronische Krankenschein oder auch die Datenschutzgrundverordnung. Sein Rat: „Durch Digitalisierung möglichst viel Papier aus dem Büro verbannen.“ Der Einsatz von Tablets für die Monteure ermögliche eine gewisse Standardisierung und vereinfache wiederkehrende Abläufe. „Arbeitszeiterfassung, Protokolle oder auch Dokumentationen kommen so direkt von der Baustelle ins Büro oder umgekehrt“, so Weber.
Foto: André Chrost
Für Andreas Ehlert, Präsident von HANDWERK.NRW und zugleich der Handwerkskammer Düsseldorf, ist Bürokratie nicht nur ein objektives Problem und eine psychologische Entmutigung des handwerklichen Mittelstandes. Vielmehr treffe sie Wirtschaft, Verwaltung und Verbraucher in der ganzen Breite. „Immer mehr Dokumentations-, Berichts- und statistische Mitwirkungs- und Handlungspflichten hemmen die eigentliche unternehmerische Aufgabenstellung, also Kundenprojekte, Innovationen und Investitionen“, meint Andreas Ehlert.
Positionspapier Bürokratieabbau
Angefangen bei ausufernden Hygiene-Normen in den Lebensmittelberufen, über abfallrechtliche Detailnachweise im Baugewerbe und zehnjährige Aufbewahrungsfristen für Materialbeschaffungs- und Produktionsmengen für jeden Einzelauftrag im Zahntechnikerhandwerk, bis hin zu den Vorgaben für die Energiesanierung und deren Förderung für die gebäudenahen Ausbaugewerke – „unterm Strich zermürbt kein anderes Problem neben der Fachkräfteerosion die Betriebe im Wettbewerb nur annähernd vergleichbar wie die bürokratischen Anforderungen des Staats“. Das Thema beschäftigt das Handwerk und seine Organisationen tatsächlich intensiv und allerorten. So hat beispielsweise die Vollversammlung der Handwerkskammer Dortmund in diesem Sommer ein Positionspapier zum Bürokratieabbau verabschiedet. „Wir brauchen einen leistungsfähigen Mittelstand, der die lokale Wirtschaft antreibt und Ausbildungs- und Arbeitsplätze schafft“, sagt Kammer-Präsident Berthold.
Schröder. Dafür benötigten die Betriebe des Handwerks wieder mehr Freiräume, um ihrer eigentlichen Arbeit nachzugehen und auch Innovationen und neue Geschäftsmodelle anzustoßen. Die Handwerkskammer Münster hat in ihrer Funktion als Anlaufstelle eine spezielle E-Mail-Adresse eingerichtet: Unter buerokratieabbau@hwk-muenster.de können Betriebe ihre Erfahrungen und Sorgen schildern. „Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist es für die Betriebe unzumutbar, so viele Stunden mit verordneten Verwaltungsarbeiten verbringen zu müssen, statt ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen zu können“, sagt Hans Hund, Präsident der Handwerkskammer Münster. Der wuchernde Bürokratismus sei mittlerweile auch ein Gründungshemmnis erster Ordnung, so sein Kollege Ehlert. Eine Umfrage der Düsseldorfer Kammer unter rund 1.000 Jungmeistern hat das jüngst im Mai noch einmal vor Augen geführt: „Normalerweise gründet oder übernimmt im Lauf der Jahre jeder zweite Meister ein Unternehmen. Der einkalkulierte Umfang an bürokratischen Auflagen alleine schreckt aktuell bereits fast sechs von zehn der frischgebackenen Meister von diesem Schritt ab“, sagt Ehlert.
Bürokratiemonster im Baugewerbe
Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe hat mal aufgelistet, welche „Bürokratiemonster“ in den letzten zwei Jahren dazu gekommen sind: Lieferkette, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Transparenzregistergesetz, das Hinweisschutzgebergesetz, die Ersatzbaustoffverordnung, die Taxonomieverordnung mit Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten, das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz, das Gesetz zur Umsetzung der Vereinbarkeitsrichtlinie, das Gesetz zur Umsetzung der EU-Arbeitsbedingungenrichtlinie, die Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns mit der Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung. „Die Gesetze sind schon sprachlich eine Herausforderung, aber inhaltlich lähmen sie die Wirtschaft und rauben den Betrieben Leistungsstärke und Zeit“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe. „Angesichts der Wohnungsbaukrise ist klar: Das Bauen muss einfacher, günstiger und mit weniger Regeln möglich werden. Was aus Gründen der Nachhaltigkeit gefordert wird, ist manchmal nur Bürokratie, die einem reinen Selbstzweck zu folgen scheint.“ Immer mehr Betriebe berichten laut Pakleppa von einer stetig wachsenden Welle an bürokratischen Vorgaben, an hohen Abgaben und überbordenden Dokumentations- und Nachweispflichten. „Selbst der Kanzler sagt mittlerweile, Deutschland habe es mit der Bürokratie übertrieben.“
Übertriebene Auflagen für Fleischer
Wie das Bauhandwerk ist auch das Fleischerhandwerk besonders von Bürokratie betroffen. Und das vor allem aus zwei Gründen: „Zum einen arbeiten die Betriebe mit dem sensiblen Rohstoff Fleisch. Schon ohne behördliche Auflagen müssen Fleischerinnen und Fleischer umfangreiche Kenntnisse besitzen und streng auf Hygiene achten, um gesundheitliche Risiken für ihre Kunden auszuschließen“, erklärt Dr. Reinhard von Stoutz von der Geschäftsleitung des Deutschen Fleischer-Verbands. „Zum anderen umfassen handwerkliche Fleischereien viele Produktionsstufen, die bei industrieller Produktion getrennt sind. Die Kontroll- und Dokumentationspflichten beginnen bei der Landwirtschaft, umfassen den Transport, die Schlachtung, die Zerlegung, den Verkauf und das Catering. Fleischerinnen und Fleischer müssen somit alle entsprechenden bürokratischen Anforderungen, die sich an den Landwirt, den Transportunternehmer, der Schlachtbetrieb, den Zerlegebetrieb, den Lebensmitteleinzelhandel und die Gastronomie richten, aus einer Hand erfüllen.“
Digitalisierung kann Prozesse beschleunigen
Was kann die Digitalisierung leisten? „Sie hilft auch den handwerklichen Fleischereien, etwa bei der Berechnung von QUID, also der mengenmäßigen Kennzeichnung von wertbestimmenden Zutaten, oder bei der Dokumentation von Kühlungsprozessen“, sagt Reinhard von Stoutz. „Da Handwerksbetriebe jedoch von Kleinteiligkeit, Flexibilität und großer Produktvielfalt leben, sind viele Prozesse schwerer zu digitalisieren als in der standardisierten Industrie. Das gilt auch für eine rechtssichere Dokumentation.“ Andreas Ehlert, der Präsident von Handwerk.NRW sieht in der Digitalisierung – und perspektivisch auch in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz – enorme Potentiale für die Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen. „Das gilt auf Unternehmens- wie auf öffentlicher Verwaltungsebene“, sagt Ehlert. Nicht zuletzt gehe es um die Schnittstellen zwischen beiden Seiten. „Hier würde ein weitestgehend datenautomatisiertes Miteinander zu einer erheblichen Beschleunigung der Prozesse führen, betriebswirtschaftlich wie volkswirtschaftlich, und damit wesentlich zur Wachstumsdynamik beitragen.“ Wichtig wäre dabei, dass sich tatsächlich Melde- und Dokumentationspflichten vereinfachen lassen, Genehmigungsverfahren aus Sicht des Antragstellers schneller werden und eine Widersprüchlichkeit unterschiedlicher Normen vermieden wird. Grundsätzlich gehe es in Sachen Problemlösung vor allem um mehr Vertrauen der Politik in die Selbstregulierungs-, Anpassungs- und Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.
Drei Dinge sind besonders wichtig:
Aus Sicht des Handwerks in NRW kommt es darüber hinaus auf drei Dinge besonders an: Erstens sollten Regulierungsvorhaben dem Grundsatz ,Think small first‘ folgen. Es muss also zuallererst hinterfragt werden, ob eine geplante Norm auch für kleine und mittlere Unternehmen umsetzbar ist. Sonst führt die fortschreitende Regulatorik zur Verdrängung kleinerer Unternehmen. Die Sorgfaltspflichten bei Lieferketten sind dafür ein aktuelles Beispiel und eine sehr konkrete Gefahr.“ Zweitens müsse der Grundsatz „Entlasten statt fördern“ gestärkt werden. „Subventionen sind oft gut gemeint, aber sie sind oft auch teuer, umständlich und ungerecht. Ich erinnere nur an die unsägliche Diskussion um einen Industriestrompreis. Als ob Energiekosten nur für Großkonzerne hoch wären und als ob Preisdeckel das eigentliche Problem lösen könnten“, sagt Ehlert. „Entlastung von Steuern und Bürokratie nützt aber jedem Unternehmen.“ Drittens müssten Genehmigungsverfahren aller Art schneller werden. „Wir müssen dahin kommen, dass ich jede Information dem Staat nur einmal geben muss. Und den Rest muss der Staat durch moderne und digitale Kommunikation der Verwaltungen untereinander lösen.“
Daniel Boss