Im April hat die Sparkasse Essen ihre Jahresbilanz 2024 präsentiert. Für den Vorstandsvorsitzenden Bernd Jung war es das zweite Geschäftsjahr beim größten Essener Kreditinstitut. Er hatte Helmut Schiffer Anfang 2024 abgelöst. Wir haben mit dem 56-Jährigen über Zahlen und Zukunft gesprochen.

Essener Handwerk: Herr Jung, nach eineinhalb Jahren Essen, wie gut sind Sie angekommen? Sie waren ja vorher an beschaulicheren Orten.
Bernd Jung: Ich bin auf dem Land bei Limburg an der Lahn aufgewachsen und war beruflich lange in ländlichen Regionen unterwegs. Meine Ausbildung habe ich bei der Nassauischen Sparkasse in Wiesbaden absolviert. Danach ging es zur Sparkasse Langen-Seligenstadt und später nach Landau in der Pfalz. Heimat ist für mich, wo ich mich wohlfühle und Freunde habe. Essen ist mir inzwischen sehr vertraut, hier bin ich zu Hause. Die Stadt ist besser, als ihr Ruf vermuten lässt. Das müssen wir nur überall erzählen, und dazu trage ich gerne bei.
Und die Familie?
Meine Frau ist beruflich bedingt noch in Landau. Mein Sohn und seit kurzem auch meine Tochter sind hier in Essen.
Ihr Sohn macht eine Ausbildung im Handwerk, hörte ich.
Ja, zum Elektroniker für Gebäudetechnik bei Elektro Peters. Er ist sehr glücklich mit seiner Berufswahl. Bald steht seine Gesellenprüfung an. Handwerk hat goldenen Boden. Gerade jetzt merkt jeder: Ohne Handwerk geht nichts.
Haben Sie sonst Kontakte zum Handwerk?
Mein Vater war ein begnadeter Handwerker, gelernter Sattler und Polsterer. Ich weiß gar nicht, was er bei Ausbau oder Renovierung nicht konnte. Ein wenig habe ich davon auch abbekommen. Beruflich sind die Essener Handwerksbetriebe ein wichtiger Teil unserer mittelständischen Kunden.
Deshalb pflegen wir den engen Kontakt zu den Institutionen des Handwerks. Martin Weber, Martin van Beek und auch Wolfgang Dapprich habe ich bereits kennengelernt. Ich bin sehr offen, jeder bekommt bei mir einen Termin – das Handwerk sowieso.
Kommen wir zur Sparkasse. Was waren Ihre Schwerpunkte 2024?
Ankommen, Strukturen kennenlernen, mich vernetzen – und die typischen Aufgaben eines Vorstandsvorsitzenden: Unternehmenssteuerung, Revision, Personal, Vertriebssteuerung. Das ähnelt meiner Arbeit bei der Sparkasse Südpfalz, nur mit anderen Akteuren. Ich habe mir einen Überblick verschafft: Wie ist die Sparkasse Essen aufgestellt? Gibt es etwas, das wir angehen müssen? Helmut Schiffer und sein Team haben hervorragende Arbeit geleistet. Vieles ist umgesetzt oder zumindest auf der Agenda. Da gibt es wenig nachzusteuern, und das rechne ich ihm hoch an.
Mit Blick auf die Bilanz konnten Sie den positiven Trend weiterführen.
Ja, wir entwickeln uns gut. Diese Ernte haben aber andere gesät. In einem Jahr kann man nichts völlig Neues schaffen, nur Bestehendes weiterentwickeln. Deshalb schmücke ich mich nicht mit fremden Federn. Wir haben uns vertrieblich neu aufgestellt und das zeigt Wirkung. Unser Ziel ist es, auch das Handwerk noch besser zu betreuen, zum Beispiel über unser BusinessCenter mit einer sehr guten Erreichbarkeit.
Durch die Zinswende gab es 2023 einen Einbruch bei der Baufinanzierung. Die hat sich deutlich erholt.
Es läuft wieder gut. Zwar nicht auf den Höchstständen von 2022, aber ob da immer alles gesund war, ist fraglich. Für das Handwerk war das goldener Boden, aber viele Handwerker konnten die Nachfrage kaum erfüllen und waren damit unzufrieden. Jetzt haben wir wieder ein gesundes Niveau erreicht.
Wobei noch viel mehr gebaut werden müsste, gerade Wohnungen.
Das stimmt, es ist eigentlich nie genug gebaut worden. Heute bremsen vor allem immense bürokratische Vorgaben. Bauen ist extrem teuer geworden.
Und die Zinsen sind auch nicht mehr so niedrig. Was erwarten Sie hier?
Ich habe keine Glaskugel. Aber wenn nichts Unvorhersehbares passiert, dürften die langfristigen Zinsen mittelfristig leicht steigen. Die Nachfrage wächst – auch mit den staatlichen Sondervermögen – und trifft auf knappe Ressourcen im Bausektor und im Handwerk. Wir reden vielleicht über ein halbes Prozent. Verglichen mit früheren Zeiten ist das immer noch niedrig. Die Ein-Prozent-Zinsen für Baufinanzierungen werden aber wohl nicht zurückkommen.
Das Neugeschäft bei Unternehmenskrediten ist hingegen zurückgegangen. Das liegt wohl an der allgemeinen wirtschaftlichen Situation.
Ja, die Investitionsbereitschaft hängt vom Vertrauen in die Zukunft ab. Viele Unternehmer sind derzeit vorsichtig. Das ist eher eine Frage der Psyche. Es gibt genügend Geschäftschancen, aber momentan fährt jeder auf Sicht. Jetzt braucht es Mut, Vertrauen in die Zu-
kunft und staatliche Deregulierung.
Welche Aufgaben und Herausforderungen beschäftigen Sie ganz aktuell?
Neben dem Tagesgeschäft sind Arbeitgeberattraktivität, künstliche Intelligenz und Digitalisierung große Themen.
Setzen Sie schon KI ein?
Ja, unsere Finanzinformatik hat ein eigenes KI-Modell entwickelt: den S-KI-Pilot. Da wir mit Kundendaten arbeiten, können wir keine Modelle wie ChatGPT nutzen. Unser System läuft in der geschlossenen Cloud der Finanzinformatik und nicht in Amerika. Es lernt noch, wird aber bereits mit Anwendungsfällen gefüttert. Ziel ist, unsere Mitarbeiter zu unterstützen, etwa beim Umgang mit großen Datenmengen. Es erkennt zum Beispiel falsche Überweisungen oder Betrugsversuche, die online häufig vorkommen. Dank KI sind die Schadenssummen in diesem Bereich bundesweit schon deutlich zurückgegangen.
Was möchten Sie noch erreichen?
Ich will die Sparkasse Essen fit für die Zukunft machen. Vor allem Digitalisierung und Fachkräftemangel bringen viel Arbeit mit sich. Den Marktanteil weiter zu steigern, ist kaum möglich, aber wir können Kundenorientierung vorbildlich leben und für jeden das Beste herausholen – ob klein oder groß. Wir sind für die Kunden Ansprechpartner von der Wiege bis zur Bahre. Das treibt mich an. Und unser öffentlicher Auftrag: Wir reinvestieren, was wir erwirtschaften – nicht irgendwo auf der Welt, nicht für Aktionäre, sondern hier in der Stadt. Für Demokratieförderung, für Kultur und Kunst, für Sport, Nachhaltigkeit und vieles mehr. Für ein gutes Leben aller Menschen in Essen!
Gespräch: Jörn-Jakob Surkemper
Foto: Oliver Müller