Das Problem ist bekannt: In Deutschland fehlen viele tausend Handwerkerinnen und Handwerker. Was tun? Nicht wenige Betriebe setzen unter anderem auf die 4-Tage-Woche oder Fachkräfte aus fernen Ländern.

Guido Bernards’ Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche sind „durchweg positiv“, so der Malermeister aus Bonn. Sein Konzept seit Anfang des Jahres: Jeden Tag 45 Minuten länger auf der Baustelle, dafür ist der Freitag frei. „Die Angestellten finden das Arbeitsmodell toll. Und auch die Resonanz bei den Kunden ist gut. „In unserem Fall haben die Kunden ja keinen Nachteil, da durch die neue Verteilung der Arbeitszeit nur eine Stunde weniger in der Woche gearbeitet wird. Transparenz und eine gute Kommunikation mit den Kunden ist aber sehr wichtig.“
Die meisten fänden es gut, dass er diesen Schritt gewagt habe, so Bernards. Da alle Angestellten nun von Montag bis Donnerstag arbeiten, hätten sie mehr Zeit zur Regeneration. „Für mich ist es zudem sehr vorteilhaft, da ich mich nun einen Tag voll auf die Büro-
arbeit konzentrieren kann und keine Baustellen betreuen muss“, erklärt der Meister. Er ist längst nicht allein: Zahlreiche Handwerksbetriebe in NRW, auch im Ruhrgebiet, haben auf eine kürzere Arbeitswoche umgestellt. Doch nur wenige haben eine derart hohe Aufmerksamkeit erfahren wie das Maler-Team in Bonn: In der Zeitung und im TV war die 4-Tage-Woche Thema. „Natürlich bin ich von vielen Seiten auf die Berichterstattung angesprochen worden – sowohl von Kunden und Freunden, aber auch von anderen Betrieben, die eine Einschätzung und Tipps von mir wollten“, sagt Bernards. Auch einen neuen Gesellen konnte er hinzugewinnen.

Auszubildende aus Lateinamerika
Dass es sich als Handwerksbetrieb lohnen kann, über die sozialen Medien weltweit präsent zu sein, zeigt das Beispiel von Masto Dekorationen in Essen in eindrucksvoller Weise: „In diesem Jahr haben wir zwei Auszubildende aus Lateinamerika eingestellt“, berichtet Geschäftsführer Thorsten Stoffel. Gabriela Acosta-Guthmann stammt aus Paraguay, ihre Kollegin Amanda Chicas-Valdivieso aus El Salvador. Beide befinden sich im ersten Lehrjahr der Ausbildung zur Raumausstatterin. Mit Paraguay führte Stoffel – nach Erhalt der Bewerbung per E-Mail – ein Gespräch im Video-Chat. „Es war das erste Mal, dass ich ein Vorstellungsgespräch nicht live durchgeführt habe.“ Doch schnell war man sich einig, ein Ausbildungsverhältnis zu schaffen. Nach der Zusage hat die junge Frau aus Paraguay ein Visum bei der deutschen Botschaft beantragt. Sie wohnt inzwischen in einer Essener WG und ist – wie ihre Kollegin aus Mittelamerika – „fester und wichtiger Bestandteil unseres Teams“, so Stoffel.
Mut für Neues aufbringen
Sein Fazit nach rund einem Jahr: „Man muss sich einfach mal trauen. Wer sich unsicher ist, kann zunächst eine 4-Tage-Woche auf Probe einführen und schauen, ob und wie es funktioniert.“ Denn man könne den Erfolg nicht verallgemeinern, meint er. „Für Betriebe in denen das nicht durchsetzbar ist, zum Beispiel wegen Notdiensten, wäre ein Wechselschicht-Modell denkbar. Dabei arbeitet etwa ein Teil von Montag bis Donnerstag, der andere Teil von Dienstag bis Freitag.“ Bernards möchte die Zufriedenheit der Angestellten erhöhen und zugleich seine Position als attraktiver Arbeitgeber stärken. „Mir geht es darum, meine qualifizierten Arbeitskräfte weiterhin langfristig an den Betrieb zu binden. Das ist in Zeiten des Fachkräftemangels ein nicht zu unterschätzender Aspekt.“
Zwischen Juli 2024 und Juni 2025 fehlten in Deutschland durchschnittlich gut 100.000 Handwerkerinnen und Handwerker. Besonders groß ist der Mangel dabei in Berufen des Bauhandwerks, wie der Bauelektrik, der Sanitär- Heizungs- und Klimatechnik und der Dachdeckerei. Aber es fehlen auch Fachkräfte in der Kraftfahrzeugtechnik, im Lebensmittelhandwerk beispielsweise im Verkauf von Back- und Konditoreiwaren oder im Gesundheitshandwerk in der Akustik, der Augenoptik sowie in der Orthopädie und Rehatechnik.
„Durch den demografischen Wandel geht uns in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren etwa ein Viertel der Belegschaften verloren. Und es gibt nicht genug nachkommende junge Menschen, um diese Fachkräfte zu ersetzen. Zudem wird die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Branchen und Betrieben noch deutlich zunehmen. Unternehmen sind also gut beraten, schon heute darüber nachzudenken, wie sie ihre Fachkräfte langfristig binden können“, sagt Dr. Lydia Malin, Expertin fürs Handwerk beim Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA).
Der wichtigste Pfeiler der Fachkräftesicherung im Handwerk ist und bleibt die duale Ausbildung. Denn wer heute nicht ausgebildet wird, steht morgen nicht als Fachkraft zur Verfügung und kann auch keinen Meister machen, geschweige denn einen Betrieb übernehmen. Da selbst die Gewinnung von Azubis zunehmend schwerfällt, werden viele Unternehmen bereits in der Ausbildung kreativ, bieten Benefits wie ein Smartphone, ein Dienstfahrzeug oder Personalrabatte. Aber: Um mehr Menschen für das Handwerk zu gewinnen sind auch andere Wege gefragt. „Die 4-Tage-Woche kann hier ein Ansatz sein, muss es aber nicht“, so Lydia Malin. „Unternehmen sollten ihre Mitarbeiter fragen, was sie sich wünschen bzw. was sie brauchen, um besser oder mit mehr Freude und Energie ihrer Arbeit nachkommen zu können. Betriebe sollten den Mut aufbringen, neue Ideen für mehr Vereinbarkeit oder Flexibilität einfach mal auszuprobieren.“
Freizeit besser als Medizin
„Unsere Erfahrungen mit der 4-Tage-Woche sind durchweg positiv: Sie steigert die Zufriedenheit im Team und fördert die Effizienz – bei gleichbleibender Qualität.“ Das sagt Metallbauermeister Björn Bergmann aus Essen. Wichtige Ergänzung: „Nur mit offener und ehrlicher Kommunikation – sowohl im Team als auch mit unseren Kunden – kann dieses Arbeitsmodell erfolgreich sein.“ Seit der Umstellung sind krankheitsbedingte Ausfälle bei der Stahl- und Metallbau Bergmann GmbH & Co KG um 25 Prozent gesunken. „Offenbar heilt Freizeit besser als Hustensaft“, so Bergmann mit einem Lächeln. „Der Fachkräftemangel im Handwerk bleibt eine große Herausforderung. Umso wichtiger sind Ausbildung, Wertschätzung und moderne Arbeitsbedingungen, um junge Menschen für das Handwerk zu begeistern.“

Mehr Attraktivität durch Technik
Ihre Beispiele: „Im Bauhandwerk, wo teils lange Arbeitstage oder auch Montagetätigkeiten die Attraktivität der Berufe trüben, gibt es Unternehmen, die Ausgleichszeiten wie ein verlängertes Wochenende anbieten.“ Im Bäckerberuf, in dem die Arbeitszeiten in der Nacht viele abschrecken, setzen laut Malin einige bereits auf technologische Lösungen mit optimierten Kühlanlagen. „Sie erlauben es, Backwaren am Vortag vorzubereiten und sie erst am Tag selbst zu backen. So braucht es keine oder zumindest deutlich weniger Beschäftigte des Nachts in der Backstube.“ Sollte sich in einer Testphase zeigen, dass Maßnahmen dieser Art nicht geeignet sind, könnten sie natürlich auch wieder zurückgenommen werden – „aber man hat es wenigstens versucht“, so die Expertin vom Kompetenzzentrum für Fachkräftesicherung. Nicht zu unterschätzen seien private Probleme der Mitarbeitenden, die sich auf die Arbeit auswirken. „Ein sozialpsychologischer Dienst, angeboten vom Arbeitgeber bzw. Ausbildungsbetrieb, kann hier unterstützen.“
Mehr Unterstützung für Azubis
In diesem Zusammenhang verweist KOFA auf einen Referenzbetrieb in der Nähe von Hannover. Das Dachdeckerunternehmen Hanebutt hatte 1998 etwas mehr als 45 Mitarbeitende. Heute sind es rund 600 an zehn Standorten bundesweit, davon viele eigene Nachwuchskräfte. Geschäftsführer Henning Hanebutt hat im Alltag gemerkt, dass das Leistungsniveau der jungen Menschen in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei. Auch in Prüfungen schnitten sie schlechter ab: „Wir müssen Azubis mehr unterstützen als früher.“ Um Mitarbeitende zu entlasten, hat er 2017 eine Diplom-Pädagogin eingestellt. Zweimal in der Woche können die Azubis mit ihr zusammen lernen. Aber auch ohne festen Termin steht sie für Fragen bereit. Auch private Anliegen, die nach einer Lösung suchen, sind mitunter Thema. Eine eigene Pädagogin beschäftigen – hier dürften viele kleine und mittlere Betriebe schon angesichts des finanziellen Aufwands abwinken. Doch Hanebutt meint: „Es können sich auch mehrere Betriebe aus einer Gegend zusammentun, dann ist das durchaus stemmbar.“
Hilfe bei Wohnraumsuche
Eine weitere Maßnahme, gerade in Hinblick auf jüngere Mitarbeitende, ist die Unterstützung bei der Wohnraumsuche. Durch den Umbau eines Bürogebäudes stehen bei der Herner Heitkamp- Unternehmensgruppe seit rund drei Jahren mehrere Zimmer für insgesamt 30 Personen gegenüber der Hauptverwaltung zur Verfügung. „Das Konzept, die jungen Menschen im ersten Jahr hier unterzubringen, hat sich bewährt, alle sind sehr zufrieden“, sagt Personalerin Nicole Weyers.
Azubis im Ausland anwerben
Eine weitere Besonderheit: Seit 2022 setzt Heitkamp auf eine Kooperation mit dem mongolischen Arbeitgeberverband Straßenbau, um jungen Menschen aus der Mongolei eine berufliche Perspektive in Deutschland zu eröffnen – und zugleich den eigenen Fachkräftebedarf nachhaltig zu sichern. „Ausgesprochenes Ziel war und ist es, die Ausbildung von jungen Menschen unter anderem in den Bereichen Straßen- und Kanalbau weiter erfolgreich umzusetzen und langfristig Fachkräfte für Heitkamp zu gewinnen“, so Nicole Weyers. „Viele der jungen Menschen bringen insbesondere handwerkliches Geschick und eine hohe Lernbereitschaft mit. Hinzu kommt eine bemerkenswerte Motivation, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen und die Sprache zu lernen.“
Das Engagement für 80 Auszubildende, davon mehr als 20 internationale Azubis, ist bei Heitkamp mehr als eine Personalstrategie – es ist auch ein gesellschaftliches Statement: „Erfolgreiche Integration ist kein theoretisches Konzept, sondern gelebte Praxis. Durch diese Initiative entsteht ein kulturell vielfältiges und lernendes Arbeitsumfeld, das auch den deutschen Nachwuchs inspiriert.“ Die Erfahrungen sind durchweg positiv: hohe Ausbildungsbereitschaft, überdurchschnittliche Einsatzfreude und Teamgeist prägen das Bild. Die ersten mongolischen Azubis haben ihre Ausbildung erfolgreich beendet und sind bei Heitkamp als Fachkräfte beschäftigt.
Blick nach Ghana und Vietnam
Die Überlegung, Fachkräfte auch aus weit entfernt liegenden Weltregionen anzuwerben, ist nicht neu. So hat das Ruhr-Handwerk beispielhafte Erfahrungen mit 5 jungen Solarteuren aus Ghana gemacht, die im Vorjahr zu- nächst für ein dreimonatiges Praktikum nach Bochum gekommen waren. Die Erfahrung der fünf aufnehmenden Betriebe war übereinstimmend sehr positiv: Die jungen Ghanaer waren bestens vorqualifiziert, lernwillig, hochmotiviert – so wurden allen jungen Ghanaern umgehend Ausbildungsstellen angeboten. Nach weiteren Sprachkursen in ihrem Heimatland haben die fünf jungen Männer inzwischen ihre Ausbildung in den Bochumer Lehrbetrieben angetreten. Weitere positive Erfahrungen gibt es aus anderen Gewerken: In Thüringen hat die Handwerkskammer Erfurt mit dem geförderten Projekt CRAFT nach eigenen Angaben bundesweit eine Vorreiterrolle in der Fachkräftegewinnung aus dem Ausland eingenommen. „In den vergangenen drei Jahren hat die Handwerkskammer mit CRAFT nachhaltige Strukturen zur Fachkräftegewinnung und Integration von Zuwanderern im Handwerk aufgebaut – insbesondere in Ländern wie Vietnam“, berichtet Haupt- geschäftsführer Thomas Malcherek. „Wir haben über 25 Kooperationsvereinbarungen mit ausländischen Bildungseinrichtungen, vor allem staatlichen Berufskollegs, geschlossen. Mehr als 60 Handwerksunternehmen mit über 100 offenen Bedarfen konnten für das Pilotprojekt gewonnen werden. Über 60 junge Menschen erhielten über CRAFT einen Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag in Thüringen.“
Weltoffenes Handwerk
Kurz vor Ende der Projektlaufzeit zieht Malcherek ein positives Fazit: „CRAFT zeigt, dass gezielte und begleitete Zuwanderung von Fachkräften aus Dritt- staaten ein nachhaltiger Lösungsansatz für den Fachkräftemangel im Handwerk ist“ Zu den größten Erfolgen zählen laut Handwerkskammer die Sensibilisierung und Motivation der Betriebe für neue Wege der Personalplanung und die Stärkung der Betriebe in ihrer Fähigkeit, Fachkräfte international zu rekrutieren. „Die Betriebe profitieren von motivierten, belastbaren jungen Menschen, die neue Impulse einbringen. Das Projekt hat die Integrationskraft und Weltoffenheit des Handwerks gestärkt und gezeigt, dass Vielfalt und Offenheit Grundlagen für Erfolg und Wettbewerbsfähigkeit sind.“
Zugleich werden die Herausforderungen nicht verschwiegen, an erster Stelle stehen die sprachlichen Barrieren. „Interkulturelle Unterschiede oder fehlende Personalabteilungen in kleinen Betrieben erschweren die Integration zusätzlich.“ Auch die komplexen administrativen und rechtlichen Abläufe – Stichwort Visumverfahren – sowie Fragen rund um Wohnraum und Mobilität stellen Hürden dar. „Erfolgreiche Integration braucht professionelle Begleitstrukturen, insbesondere für kleine und mittelständische Betriebe.“
Daniel Boss
Bilder: André Chrost
Titelbild: Istockphoto.com





