KI erobert die Betriebe

Künstliche Intelligenz zählt zu den Megathemen unserer Zeit – und ist auch im Handwerk angekommen. Die Bandbreite der Einsatzgebiete ist enorm. Sie reicht von der Verkaufszahl-Prognose in Bäckereien bis hin zur präventiven Wartung von Anlagen.

„Viele Innungsbetriebe fragen sich, wie sie KI sinnvoll in ihren Betrieb integrieren können“, berichtet Martin Weber, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Essen. „Wichtig ist, dass KI nicht sofort den gesamten Betrieb revolutionieren muss. Oft reicht es, mit kleinen, gezielten Verbesserungen zu beginnen.“ Eine der größten Stärken von KI ist für ihn die Automatisierung von Prozessen, die Zeit und Kosten spart. Das organisierte Handwerk geht das Thema offensiv an: „Der erste Schritt besteht in der Sensibilisierung. Hier schaffen Innungen und Kreishandwerkerschaften mittlerweile zahlreiche Angebote“, so Weber. Die Kreishandwerkerschaft Essen ist Partner des Forschungsprojekts „GreenCraft“. Es zielt darauf ab, die Plattform LokalesHandwerk.de weiterzuentwickeln und private und institutionelle Kunden, Handwerksbetriebe sowie Fördergeldgeber miteinander zu vernetzen. Die Plattform soll die Projektanbahnung, Terminierung und Abwicklung von Umweltprojekten wie etwa energetische Sanierungen erleichtern. „Ein besonderes Merkmal von ,GreenCraft’ wird dabei der Einsatz von KI-Assistenten sein, die die Kommunikation und den Datenaustausch zwischen den Beteiligten unterstützen“, sagt Martin Weber. Foto: Andre Chrost


Es ist nicht die Frage, ob KI uns Arbeit wegnimmt oder Personen ersetzt. Das glaube ich nicht. Wir haben immer mehr als genug zu tun. Durch KI können wir uns mehr darauf konzentrieren, dass wir Projekte abschließen, besser vorbereiten und mehr Zeit für die wichtigen Sachen haben.“ Das sagt Eugen Penner, Inhaber des Dachdecker- und Zimmerer-Betriebes ZEP. Der Bielefelder ist einer der KI-Pioniere im Land und arbeitet mit dem Startup Airteam zusammen, das die Vermessung und
Inspektion von Dächern digitalisiert – dank Drohnen, Software und Künstlicher Intelligenz, kurz KI. Auf diese Weise können Handwerker für ihre Arbeit auf 3D-Modelle zurückgreifen.
Vorab-Bilder für die Montage der PV-Module können dann fliegende Helferlein liefern. „Ich fliege inzwischen mindestens zweimal täglich mit der Drohne“, so Penner. In der Luft geht es ums Gebäude, dabei wird eine Aufnahme erstellt. „Durch dieses Video kann am Ende die KI eine Vermessung durchführen.“ Einer von mehreren Vorteilen: „Bei uns bringt die KI-gestützte Dachvermessung mit der Drohne mehr Arbeitssicherheit. Es muss keiner mehr aufs Dach.“ Durch die neue Technik spare man außerdem Zeit – „und wir haben ein viel besseres und detaillierteres Angebot für den Kunden“.

Pilotprojekt mit Hochschule, Fraunhofer und KH
Damit solche KI-Anwendungen für das Handwerk praktisch werden, hat das Land NRW das Projekt „KI-DiHa“ gestartet, an dem neben der Fachhochschule des Mittelstands und dem Fraunhofer Institut IOSB-INA auch die Praxis einbezogen ist: Stellvertretend für das Innungshandwerk nimmt die Kreishandwerkerschaft Paderborn an dem Pilotprojekt teil. Für deren Hauptgeschäftsführer Michael H. Lutter steht fest: „Vor allem in den technologisch geprägten Bau- und Ausbaugewerken, im Kfz-Gewerbe und in der Lebensmittelbranche wird der Einsatz von KI die Arbeit von Handwerkern und Handwerker- innen verändern.“

Erfahrungen weitergeben
Anhand von konkreten Beispielen sollen weitere Handwerksunternehmen motiviert werden, sich aktiv mit diesem Megathema zu befassen und – da, wo es Sinn macht – KI auch konkret einzusetzen. Denn mittlerweile experimentieren überall im Land Handwerker verschiedenster Gewerke mit Künstlicher Intelligenz. Eine Erfolgsstory aus dem Bäckerhandwerk kommt aus Rheinland-Pfalz: Hier setzt das Familienunternehmen Grünewald eine KI zur Produktionsplanung ein. Dabei greift Marco Grünewald auf die Dienste von foodforecast zurück. „Durch KI-gesteuerte Analysetools können wir präzise Vorhersagen über Verkaufszahlen treffen, was uns hilft, Bestände zu optimieren und Überbestände sowie Verschwendung zu reduzieren“, berichtet Grünewald. „Prognosen fließen direkt in die Warenbestellung ein, wodurch Lagerkosten minimiert und bedarfsgerechte Bestellungen ermöglicht werden.“
In der modernen Welt der Brot- und Kuchenherstellung taucht auch immer wieder der Name Aiperia auf. Die Entwickler
der Software werben unter anderem damit, dass die Technologie rasend schnell mehr als 150 Faktoren analysiert
und auf dieser Basis präzise Bestellvorgänge liefert. Ziele sind ein gut zum Kundenstamm passender Warenbestand und eine Reduzierung von Retouren (www.aiperia.de).

Chancen und Grenzen
Was also können Handwerker schon heute von KI-Lösungen erwarten – und wo liegen die Grenzen? „KI kann Prozesse optimieren, Zeit sparen und die Qualität verbessern“, sagt Walter Pirk vom Institut für Handwerkstechnik der Leibniz Universität Hannover. Mit Förderung der EU bietet sein Team dem Handwerk gezielte Unterstützung in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit an. „KI-Technologien helfen besonders bei Automatisierung und Digitalisierung alltäglicher Aufgaben“, so Pirk. Ein Beispiel sei die „KI-gestützte Datenblattbeschaffung für Revisionsunterlagen“, mit der die oftmals zeitraubende Dokumentation im Bausektor erleichtert wird. Mit KI lassen sich laut Pirk Fehler minimieren, Zeit werde gespart. Chatbots optimieren die Kundenkommunikation, indem sie Anfragen erfassen, vorsortieren und weiterleiten. Weiteres Einsatzgebiet ist die präventive Wartung von Anlagen: „Sensordaten und KI-Analysen erkennen frühzeitig Störungen, reduzieren Ausfallzeiten und verlängern die Lebensdauer von Maschinen“, versprechen die KI-Experten aus Hannover.

KI ist längst im Alltag präsent
Ob Heizungstausch oder Elektro-Planung – oft steckt bereits künstliche Intelligenz im Smartphone oder Laptop, ohne dass es ersichtlich ist. So können Apps für das SHK-Handwerk Heizlast-Berechnungen binnen Sekunden durchführen oder zeigen dem Elektriker an, wo Steckdosen am besten platziert werden sollten. So gewinnt der Einsatz von KI im Handwerk sowohl bewusst als auch unbewusst an Bedeutung. „Handwerksbetriebe zeigen ein wachsendes Interesse an KI-Technologien, insbesondere seit der Einführung von ChatGPT und ähnlichen Tools“, sagt Norbert Speier, Innovationsberater bei der Handwerkskammer Münster in der Emscher-Lippe-Region. Ein besonderer Anreiz liegt für ihn darin, „dass viele dieser KI-Anwendungen, zumindest in ihrer Grundversion, kostenfrei zur Verfügung stehen“. Dies ermögliche es selbst kleineren Betrieben, von den Vorteilen der KI zu profitieren und ihre Arbeitsabläufe zu optimieren.
Die Nutzung von KI im Handwerk variiert, so Speier, je nach Komplexität der Aufgaben. „Kostenfreie Versionen der Tools von ChatGPT etc. haben sich für einfache Textarbeiten bereits etabliert. Für anspruchsvollere Anwendungen wie Projektmanagement-Optimierung oder komplexe Fehlerdiagnosen ist jedoch eine Investition in professionelle KI-Systeme notwendig.“ Dass hochwertige KI-Lösungen ihren Preis haben, werde aber immer mehr akzeptiert. „Betriebe betrachten KI nicht als Allheilmittel, sondern als strategisches Werkzeug, das gezielt eingesetzt werden muss, um den größtmöglichen Nutzen zu erzielen.“
Klar scheint: Es ist wichtig, eine Offenheit gegenüber dem Thema KI und den damit einhergehenden Chancen und Veränderungen zu entwickeln, sich zu informieren und dann erste eigene Versuche zu unternehmen. „Man fängt klein mit einfachen Aufgaben wie der Erstellung eines Textes an. Ideen für weitere Umsetzungen ergeben sich dann automatisch. Durch die konkrete Nutzung der KI werden die Anwendungen komplexer und das Unternehmen in der Handhabung professioneller“, sagt Speier.
Die Herausforderung von KI im Handwerk liegt nach Erfahrung von Experte Pirk oft in der Auswahl passender Systeme und IT-Sicherheitsfragen. „Im Dschungel der Anbieter von KI-Systemen kann leicht der Überblick verloren gehen. Die neuen Technologien klingen zwar spannend, aber wirklich greifbar, gerade für den Einsatz im Handwerk, sind sie auf den ersten Blick oft nicht. Kommt dann noch das Thema IT-Sicherheit hinzu, wird das Ganze schnell unübersichtlich – dabei gehört beides in der digitalen Welt zusammen.“

Dranbleiben statt hinterherlaufen
Und selbst wenn Betriebe sich noch nicht reif fühlen, ist Vorbereitung wichtig: „Bis es zum Einsatz von KI kommt, sollte man die Voraussetzungen schaffen und die Ressourcen klären. Wir erwarten in den kommenden fünf bis zehn Jahren einen radikalen Wandel unserer gesamten Gesellschaft durch KI. Es lohnt sich also, dranzubleiben, anstatt hinterherzuhängen“, mahnt Walter Pirk vom Institut für Handwerkstechnik.
Angesichts solcher Entwicklungen dürfte sich so mancher fragen: Wo wird KI im Handwerk überhaupt noch an ihre Grenzen stoßen? „Da wäre ich sehr vorsichtig“, sagt Berater Norbert Speier von der Handwerkskammer Münster, „denn die Zeiträume, in denen das Unvorstellbare Realität wird, werden immer kürzer.“
Daniel Boss

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