Aus der Praxis für die Praxis

Jörg Gleißner ist seit 2016 Schulleiter des Heinz-Nixdorf-Berufskollegs, an dem auch der Elektroniker-Nachwuchs aus Essen und Umgebung lernt. Zudem ist er seit zwei Jahren Sprecher der Essener Berufskollegs. Wir haben mit dem 59-Jährigen über die Veränderungen und Herausforderungen der beruflichen Bildung gesprochen.

Essener Handwerk: Herr Gleißner, woran arbeiten Sie gerade?
Jörg Gleißner: Im Moment ist unser Schwerpunktprojekt die Teilnahme an „Smartquart“ in Essen. Bei diesem mit Bundesmitteln gefördertem Projekt ist unser Gebäude eines der Modellgebäude. Die RWTH Aachen hat es mit Messfühlern ausgestattet, damit wir die Nutzung, das Heizen und Lüften genau messen können. Wir haben seit kurzem auch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach. Unser Ziel ist es, zur Energieeinsparung beizutragen und gleichzeitig unsere Schülerinnen und Schüler in die Energiewende einzubinden. Daneben sind für uns die Exzellenzförderung der beruflichen Bildung – Stichwort „studienintegrierte Ausbildung“ – und die Werbung für eine duale Ausbildung immer wichtige Themen.

Werden bei Smartquart auch die Elektro-Azubis eingebunden?
Ja, Sie können mit den realen Daten, etwa unserer Photovoltaikanlage, arbeiten, also die Energieerzeugung, die Umsetzung und das Nutzerverhalten direkt messen und analysieren. Das ist ein großer Vorteil für den Fachunterricht. Wir setzen auch sonst auf moderne digitale Medien im Unterricht, von einem hausinternen Netzwerk bis hin zu KI-Tools.

Sie sind seit über 20 Jahren Berufsschullehrer. Was hat sich ggf. in dieser Zeit verändert?
Heute spielt die Nutzung von digitalen Medien und wissensvermittelnden Plattformen eine größere Rolle als noch vor zehn Jahren, und auch der Bedarf an sozialpädagogischer Unterstützung ist gestiegen. Corona hat hier deutliche Spuren hinterlassen. Auch müssen wir heute mehr Sprachdefizite kompensieren.

Wie haben sich Ihre Schülerzahlen, speziell in der Berufsschule, entwickelt?
Während die Zahl der Auszubildenden an den Berufskollegs in Essen und NRW eher gesunken ist, konnten wir in den letzten sieben Jahren sogar einen Anstieg um ca. 25 Prozent verzeichnen. Wir haben derzeit über 2.400 Schülerinnen und Schüler, von denen etwa 75 Prozent eine duale Ausbildung machen, ungefähr je die Hälfte im Bereich IT und Elektrotechnik. Wir sind stolz darauf, dass jährlich über 700 Jugendliche einen Abschluss in Elektrotechnik oder IT erreichen.

Der Nachwuchsmangel ist für Betriebe ein großes Thema. Wie werben Sie für die duale Ausbildung, und wie steht es um die Zusammenarbeit mit Betrieben?
Wir bieten verschiedene Veranstaltungen an, wie z. B. Speeddatings, Infotage und -abende für Eltern. Wir kooperieren eng mit der Kreishandwerkerschaft, der IHK und der lokalen Presse. Unsere Zusammenarbeit mit der Elektro-
Innung ist sehr strukturiert; wir treffen uns halbjährlich, um über Unterrichts- und Prüfungsinhalte zu sprechen. Der Unterricht findet bei uns grundsätzlich in Blockform statt, d. h. 14 Tage Schule und vier Wochen im Betrieb.

Viele Betriebe klagen über abnehmende Ausbildungsreife bei ihren Bewerbern. Die ist ja ein Ziel der Berufsfachschulen, Jugendliche zum Haupt- bzw. Realschulabschluss zu führen und auf eine Ausbildung vorzubereiten. Wie gut gelingt das?
Insbesondere die Berufsfachschule II ist sehr erfolgreich. Durch die erweiterten Praxisphasen bekommen die Schülerinnen und Schüler einen guten Einblick, und es entstehen Kontakte zu Betrieben. Diese Phasen sind sehr hilfreich, aber es ist auch eine Herausforderung, für alle Praktikumsplätze zu finden.

Auf der anderen Seite des Qualifikationsspektrums bieten Sie im Bereich Informatik seit einigen Jahren eine studienintegrierte Ausbildung. Welches Fazit ziehen Sie?
Die studienintegrierende Ausbildung SiA-NRW ermöglicht es den Teilnehmenden, innerhalb von vier Jahren sowohl einen Bachelorabschluss als auch einen Berufsabschluss zu erlangen. Das Modell bietet eine flexible Karriereplanung, bei der man entweder beide Abschlüsse anstreben oder sich ohne Zeitverlust auf den Berufsabschluss konzentrieren kann, falls ein Studium vielleicht doch nicht das Richtige ist. Das Programm wird gut angenommen, und die Absolventen sind in der Regel sehr erfolgreich. Im Moment nehmen ca. 24 Studierende pro Jahr an diesem Programm teil.

Wäre ein solches Modell auch im Bereich Elektrotechnik denkbar?
Ja, tatsächlich gibt es dazu schon Pläne. Da sind wir dran.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft des Berufskollegs und welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
Eine unserer größten Herausforderungen ist der Mangel an Lehrkräften, insbesondere im technischen Bereich. Unsere Ziele sind die Förderung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung sowie die Stärkung der beruflichen Bildung. Diese möchten wir weiterhin attraktiv gestalten und innovative Bildungsangebote entwickeln.

Vielen Dank!
Gespräch: Jörn-Jakob Surkemper


Jörg Gleißner

1965 in Fulerum geboren und in Frohnhausen aufgewachsen, absolvierte er nach der Realschule zunächst eine Ausbildung zum Fernmelder. Er holte sein Abitur am Alfred-Krupp-Gymnasium nach und studierte in Duisburg Elektrotechnik. Nach über zehnjähriger, weltweiter Tätigkeit in der Telekommunikationsindustrie, bei Ericsson, wechselte er 2002 in den Schuldienst, um mehr Zeit mit der Familie zu haben. Gleißner hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit seiner Frau in Moers.


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